Freitag, 7. November 2014

Massenproteste in Brüssel

Die Anatomie des Staates – Teil I und II (Murray N. Rothbard’s Werk “Anatomy of the State”)

einer Zusammenfassung von Murray N. Rothbard’s Werk “Anatomy of the State”



Die Anatomie des Staates – Teil I



Was der Staat nicht ist



Der Staat ist nicht das, wofür die meisten Menschen ihn halten. Die überwiegende Mehrheit, ohne tiefergehende Überlegungen anzustrengen, würde die Notwendigkeit des Staates nicht leugnen und ihn darüber hinaus sogar als so etwas wie einen notwendigen Wegbereiter sozialer Kooperation betrachten – einen Wegbereiter für Dienstleistungen und Güter, die ohne ihn gar nicht oder nur in schlechterer Form angeboten werden könnten. Für manche ist der Staat sogar die Versinnbildlichung einer kultivierten Gesellschaft.



Mit der Demokratisierung westlicher Gesellschaften hat sich die Identifizierung der Gesellschaft mit dem Staat verstärkt. Sie zeigt sich in vielfältigen Formen. So etwa in der Kollektivierung politischen Handelns und in jeglicher Vernunft widersprechenden Aussprüchen wie: „Wir sind der Staat“. Das kollektive „Wir“ verschleiert die wahre Natur des Staates. Wären „wir“ der Staat, so wäre nicht nur alle staatliche Gewalt legitimiert sondern darüber hinaus auch freiwillig, denn „wir“ täten es selbst. Jede Gewalt, die von der Regierung auf ein Individuum ausgeübt würde, geschehe im freiwilligen Einverständnis des Betroffenen. Jeder Gefängnisinsasse hätte sich dann selbst eingesperrt und öffentliche Schulden, die nur unter Besteuerung einer Gruppe zum Vorteil einer anderen zurückgezahlt werden können, wären gerechtfertigt mit der einfachen Begründung, dass „wir“ es „uns selbst“ schulden. Treibt man diese absurde Plattitüde für demokratisch gewählte Regierungen auf die Spitze, so wären auch Juden im dritten Reich nicht umgebracht worden, sondern hätten Selbstmord begangen, denn „sie“ waren ja die demokratisch gewählte Regierung. Es sollte also klar sein, dass „wir“ nicht der Staat sind – und der Staat ist nicht „wir“.



Was der Staat ist





Murray N. Rothbard

Im Allgemeinen ist der Staat jene Institution, welche  auf einem gegebenen Gebiet das Monopol auf die Ausübung von Gewalt innehat. Im Speziellen ist er die einzige Institution, die ihr Einkommen nicht auf Basis von Produktion und freiwilligem Handel erzielt, sondern durch Beschlagnahmung. So wie es der Ökonom Joseph Schumpeter bereits in seinem 1942 veröffentlichten Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ beschrieb, lebt der öffentliche Sektor von dem durch politischen Zwang genommenen Einkommen, das der private Sektor für seine eigenen Zwecke generierte.[1]



Menschen haben es geschafft, ihren Wohlstand durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und freiwilligen Handel um ein Vielfaches zu vermehren. Diese Art des Wohlstandserwerbs in der Terminologie Franz Oppenheimers ist das ökonomische Mittel. Es gibt nur eine weitere Art des Wohlstandserwerbs, jene der gewaltsamen Enteignung. Diese parasitäre Form des Wohlstandserwerbs, die keinerlei Produktivität erfordert, bezeichnet Oppenheimer als politisches Mittel. Beide Kategorien schließen einander aus.



Rothbard bedient sich der Einteilung Oppenheimers und definiert den Staat als die Organisierung und Systematisierung des politischen Mittels. Der Staat ist der institutionalisierte legale Plünderungsprozess des privaten Sektors auf einem festgelegten Gebiet. Dabei ist festzuhalten, dass Plünderung immer Produktion voraussetzt und demzufolge das ökonomische Mittel oder der freie Markt dem Staat vorausgeht. Kein Staat wurde auf Basis eines Vertrags geschaffen. Er entsteht hingegen immer durch Unterdrückung, Eroberung und Ausbeuterei. Kann der Unterdrücker, der die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet erlangt hat, seinen Status lange genug behaupten, so wird früher oder später der Unterdrücker zum noblen Herrscher.



Wie der Staat sich selbst erhält



Sobald sich eine staatliche Struktur gebildet hat, ist die herrschende Gruppe darum bemüht ihre Stellung zu festigen. Dazu benötigt eine jede Regierung (nicht nur eine demokratische) die Zustimmung der Mehrheit. Diese Zustimmung kann sowohl in Form aktiver Unterstützung als auch resignierender Enthaltung erfolgen. Kann die regierende Gruppe nicht zumindest die Akzeptanz der Regierten gewinnen, so werden sie früher oder später in aktiven Widerstand übergehen.



Da sich der parasitäre öffentliche Sektor aus der Produktion des privaten Sektors speist, kann die Gruppe, die den öffentlichen Sektor, den Staat, repräsentiert, immer nur eine Minderheit im Land sein. Nichtsdestotrotz können sie natürlich Abhängigkeiten in Form von Subventionen und anderen Privilegien für Subjekte des privaten Sektors schaffen. Aber auch das ist nicht ausreichend, um eine langfristige Akzeptanz der Mehrheit zu erreichen.



Das Hauptproblem, das sich dem Staat stellt, ist ein ideologisches. Die regierende Gruppe muss die Mehrheit der Regierten von der Notwendigkeit ihres Handelns, ihrer Expertise und ihrer guten Absichten überzeugen. Die herrschende staatliche Institution muss in der Öffentlichkeit zumindest besser als ihre Alternativen wahrgenommen werden. Die Verbreitung der Ideologie ist die Aufgabe der „Intellektuellen“. Intellektuelle sind die Meinungsmacher der Gesellschaft. Die große Mehrheit der Menschen übernimmt eine ihr vorgegebene Meinung oder Idee viel eher, als sich eine eigene zu bilden, oder fremde Ideen auch nur eigenständig zu durchdenken. Aus der Notwendigkeit genau dieser Einflussnahme auf die Meinung und Wahrnehmung der Menschen, erklärt sich die Grundlage der Jahrtausende alten Allianz aus Staat und seinen Intellektuellen.



In einer freien Gesellschaft hätten Intellektuelle oft einen schweren Stand. Sie wären auf die Bedürfnisse und Präferenzen der Masse angewiesen. Da diese jedoch dazu neigt, sich nicht um intellektuelle Belange zu kümmern, werden die warmen und schützenden Arme des Staatsapparats willkommen geheißen. Die Allianz zeigt sich in vielen Formen und in verschiedensten Bereichen inner- und außerhalb der Wissenschaften. Wichtigstes Element hierbei ist die Schaffung eines intellektuellen Unterbaus für die Notwendigkeit des Staates und all seiner Eingriffe. Wirtschaftspolitische Maßnahmen im Gewand abstrakter Formeln, geschmückt mit dem keynesianischen Multiplikatoreffekt erwecken den Anschein größter Seriosität und Kompetenz. Die zugrundeliegende Logik in einfache Worte gefasst: „Wir nehmen euch euer Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln, damit es euch besser geht, denn ihr spart zu viel“, ließe doch so manche Zweifel aufkommen.  Hinzu kommt das Schüren von Skepsis und Furcht vor allen alternativen Regierungs- oder Nicht-Regierungsformen. Die Angst vor externen Bedrohungen, wie etwa anderen Staaten, ist ein Mittel, das Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Identifizierung mit dem Staat zu fördern. „Nationalismus“ ist nach Rothbard  in den letzten Jahrhunderten in den westlichen Ländern verstärkt zu einem Mittel staatlicher Kontrolle geworden.



Je länger sich eine staatliche Struktur erhält, desto wichtiger wird der Verweis auf die Tradition, als ein Mittel der Autoritätserhaltung. Regimekritische Stimmen und Meinungen können als Irrsinn verteufelt werden mit einem Verweis auf die Geschichte: Es ist seit Jahr und Tag so und hätte nie anders funktionieren können.



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[1] Vergleiche Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism, and Democracy (New York: Harper and Bros., 1942), p. 198.



quelle: http://www.misesde.org/?p=3869











Die Anatomie des Staates – Teil II



Wie der Staat seine Grenzen überschreitet





Karl-Friedrich Israel

Wie Bertrand de Jouvenel, ein französischer Philosoph des 20. Jahrhunderts, richtig bemerkte, hat der Mensch über Jahrhunderte versucht, dem Staat Grenzen zu setzen und sein Handeln zu kontrollieren.[1] Und alle Konzepte, die dieses Ziel verfolgten, konnte der Staat mit Hilfe seiner verbündeten Intellektuellen weiten und zu seinen Gunsten bis zur Unkenntlichkeit verformen. In Westeuropa wurde das Konzept der heiligen Souveränität des Monarchen (von Gottes Gnaden), das dem Herrscher auferlegte, nur nach heiligem Recht zu handeln, zu einer Heiligsprechung allen königlichen Handelns verkehrt. Die parlamentarische Demokratie begann als ein Gegengewicht zur absoluten monarchischen Herrschaft, und führte letztlich dazu, dass das Parlament zum essentiellen Organ des Staates und zum totalen Souverän wurde.



Der ambitionierteste Versuch, dem Staat Grenzen zu setzen, war wohl die Bill of Rights und andere Teile der amerikanischen Verfassung. Sie bilden das von einer unabhängigen Judikative zu interpretierende Recht, nachdem staatliches Handeln erfolgen darf. Doch jeder Amerikaner ist vertraut mit dem Prozess, in dem die Grenzen der Verfassung stetig geweitet werden. Aber wenige gehen soweit wie Professor Charles Black. Er erkennt, dass in der Tat die richterliche Prüfung, die Judikative, von einem limitierenden zu einem ideologisch legitimierenden Element staatlicher Macht umgeformt wurde. So ist das Für-verfassungsmäßig-Erklären von nur leicht bis offensichtlich verfassungswidrigem Handeln eine mächtige Waffe, um Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit für immer größere staatliche Macht zu erlangen.



Staaten haben sich ausnahmslos als fähig erwiesen, ihre Macht über die ihnen auferlegten Grenzen zu erweitern. Da sie notwendigerweise von der gewaltsamen Enteignung und Aufzehrung privaten Kapitals leben, geht ihre Expansion mit einer immer größeren Bürde für den privaten Sektor einher. Der Staat ist von Natur aus antikapitalistisch. Dies ist in gewisser Weise die Umkehrung des marxistischen Diktums, nachdem der Staat das Exekutivkomitee der regierenden Klasse ist – den Kapitalisten. Das Gegenteil ist der Fall: Der Staat, als die Organisation und Systematisierung des politischen Mittels, ist das Werkzeug der politischen Klasse und im ständigen Konflikt mit privatem Kapital.



Rothbard schließt mit de Jouvenel ab. Er schrieb, dass nur ein Mensch, der von der Geschichte und Entwicklung staatlicher Strukturen nichts versteht, der von keiner Epoche außer seiner eigenen etwas weiß, die Veränderungen in unseren politischen Systemen als das Ergebnis zugrundeliegender Prinzipien sehen kann (Entwicklungen wie Nationalisierung, Einkommensteuern etc.).  Sie sind nichts anderes als der Auswuchs von Macht und unterscheiden sich im Kern nicht von der Konfiszierung von Klöstern unter Heinrich VIII.  Der treibende Faktor ist der Hunger nach Autorität und der Durst nach bedingungslosem, sicherem Wohlstand.



Was der Staat fürchtet



Was der Staat am meisten fürchtet ist eine fundamentale Bedrohung seiner eigenen Macht oder Existenz. Das Ende eines Staates kann nur auf zwei Wegen erfolgen: Eroberung von außen oder revolutionärer Umbruch von innen – Krieg oder Revolution. Diese beiden Aspekte erfordern daher die größte Propaganda des Staates. Diese muss dazu führen, dass die Bürger zur Verteidigung eines bedrohten Staates eilen, im Glauben sie verteidigten sich selbst.



In Kriegszeiten, unter dem Deckmantel der Verteidigung, kann der Staat seine Einflussnahme in einer Form erweitern, die in Friedenszeiten auf offenen Widerstand stoßen würde. Kriege können also in vielerlei Hinsicht von Vorteil für Staaten sein. Und tatsächlich hat jeder moderne Krieg dazu geführt, dass der Staat seine Einflussnahme auf die Gesellschaft erweitert hat. Außerdem kann im Krieg das Herrschaftsgebiet eines Staates erweitert werden. Randolph Bourne lag sicherlich richtig als er schrieb: „war is the health of the state“.



Man kann die Hypothese testen, dass der Staat eher daran interessiert ist, sich selbst zu schützen, als seine Subjekte. Dazu stelle man sich die Frage, welche Straftaten im Staatskatalog härter sanktioniert werden, jene gegen private Subjekte oder solche gegen den Staat selbst. Man denke an Komplotts, Verschwörungen, Subversion, Attentate auf Staatssubjekte oder ökonomische Straftaten wie Fälschung des staatlichen Fiatgeldes oder die Umgehung von Steuern. Ein interessanter Vergleich ist der Unterschied im Strafmaß für die Beleidigung einer beliebigen privaten Person oder eines Polizisten, eines Staatsdieners. Nur Wenigen erscheint die Priorität des Staates für sich selbst als widersprüchlich zu seiner mutmaßlichen Daseinsberechtigung.



Die Beziehungen zwischen Staaten





Murray N. Rothbard

Da die Fläche unserer Erde aufgeteilt ist auf unterschiedliche Staaten, nehmen interstaatliche Beziehungen einen großen Teil der Zeit und Energie einer jeden Regierung in Anspruch. Der natürliche Reflex eines Staates, zu expandieren und seine Macht zu erweitern, mündet in interstaatliche Konflikte. Nur eine Entität kann auf einem gegebenen Gebiet das Gewaltmonopol innehaben. Krieg spielt eine immerwährende Komponente in den Beziehungen zwischen Staaten, mit Zwischenperioden des Friedens und wechselnden Allianzen.



Recht auf internationaler Ebene entwickelte sich zunächst aus dem privaten Sektor, aus der Notwendigkeit für Händler ihr Eigentum zu schützen und Konflikte zu regeln. Aber auch das Kriegsrecht entwickelte sich freiwillig, ohne das Aufbürden durch einen übergeordneten Superstaat. Es diente dem Schutz der unschuldigen Zivilbevölkerung, also der den Staat nährenden Produktionsquelle und damit dem Staat selbst. Es schützt die Zivilbevölkerung der neutralen aber auch der kriegführenden Staaten. Es gab im 18. und 19. Jahrhundert eine regelrechte Abkopplung des militärischen Sektors vom zivilen Sektor. Handel wurde auch unter Kriegführenden Staaten getrieben. Zivile Subjekte kriegführender Staaten konnten durchaus, trotz der gewaltsamen Konflikte ihrer Regierungen, in friedlicher Weise kooperieren. Reisepässe wurden ursprünglich geschaffen, um eine sichere Durchreise durch Kriegsgebiet zu gewähren.[2]



Inwieweit Staaten die Regeln des „kultivierten“ Krieges entwickelt haben, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Aber es ist klar, dass in unseren modernen Zeiten des absoluten Krieges und der Technologie der totalen Zerstörung, die Idee des auf den Staatsapparat beschränkten Krieges gerade noch unglaublicher und abstruser klingt.[3]



Geschichte – Ein Rennen zwischen Staatlicher und Sozialer Macht



So wie die menschliche Interaktion entweder auf Freiwilligkeit oder auf Zwang beruht, so kann die gesamte Menschheitsgeschichte in diese beiden Konzepte eingeteilt werden. Rothbard bedient sich hier der Terminologie Albert J. Nocks und benennt die beiden treibenden Kräfte der Menschheit als die „Soziale Macht“ und die „Staatliche Macht“ (Social power and State power).[4] Die Soziale Macht ist die Macht über die Natur, die Fähigkeit des Menschen durch Fortschritt, Technologie, Kooperation und Handel die natürlichen Grenzen seiner Existenz zu erweitern und den Wohlstand aller beteiligten Individuen zu mehren. Die Staatliche Macht ist die Macht über Menschen, die Ausbeutung der Früchte friedlicher Kooperation.



Die Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert war in den meisten westlichen Ländern gekennzeichnet durch einen Anstieg der Sozialen Macht, einhergehend mit Frieden und einer nie dagewesenen Steigerung des materiellen Wohlstands. Im 20. Jahrhundert jedoch erfolgte eine Aufholjagd der Staatlichen Macht, einhergehend mit Krieg, Ausbeutung und Zerstörung.[5] Heute stellt sich uns weiterhin und wieder verstärkt das Problem eines überbordenden Staatsapparats.



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[1] Siehe dazu Bertrand de Jouvenel Du Pouvoir – Histoire naturelle de sa croissance, Genève, éditions du cheval ailé, 1945 (dt.: Über die Staatsgewalt – Die Naturgeschichte ihres Wachstums)

[2] Vergleiche John U. Nef, War and Human Progress, Harvard University Press 1950, S.162

[3] Inwiefern die Entwicklung vom „kultivierten“ Krieg zum Vernichtungskrieg zurückzuführen ist auf den Übergang von Monarchie zu Demokratie ist eine interessante Frage. In einer Monarchie, in der der Monarch sein Land im Wesentlichen als sein Eigentum betrachtet, wird ein Anreiz gesetzt, dessen Wert zu erhalten. In der Demokratie, in der Regierungen nur temporäre Platzhalter sind, fehlt jener Anreiz, was zu einem strukturellen Unterschied führt. Siehe hierzu Hans-Hermann Hoppe, Demokratie – Der Gott, der keiner ist.

[4] Zu dieser Einteilung siehe Albert J. Nock, Our Enemy the State (Caldwell, Idaho: Caxton Printers, 1946).

[5] Die parasitäre Aufholjagd wurde indirekt in der Marxistischen Ideologie wiedergespiegelt, nach der sich der Sozialismus erheben kann durch die Beschlagnahmung des im Kapitalismus akkumulierten materiellen Wohlstands.







quelle: http://www.misesde.org/?p=3873


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